Vergangene Woche diskutierten wir in unserem neuen Online-Format "Couragiert debattiert" mit tschechischen und deutschen Gästen und unter reger Beteiligung vieler weiterer Teilnehmenden über die Auswirkungen der Grenzschließung zwischen Sachsen und der Tschechischen Republik auf das bilaterale Verhältnis, die grenznahen Regionen und betroffene Familien.

Die Situation  

Seit dem 14.2.2021 finden an der Grenze zwischen Sachsen und der Tschechischen Republik strenge Kontrollen statt und nur in wenigen Ausnahmefällen ist grenzüberschreitender Verkehr möglich - ein Zustand, der Unternehmen, Grenzpendler*innen, Familien sowie Freund- und Partnerschaften auf beiden Seiten der Grenze gleichermaßen hart trifft. Wie gehen die Menschen damit um und welche kurz- und langfristigen Auswirkungen haben die Quasi-Schließungen auf die familiären, wirtschaftlichen und nachbarschaftlichen Beziehungen sowie auf die sächsisch-tschechische Partnerschaft insgesamt? Wird durch die Corona-Pandemie womöglich sogar dauerhaft beschädigt, was an partnerschaftlichen Beziehungen in den letzten 30 Jahren mühsam aufgebaut wurde?  

Die Diskutant*innen  

Diese und weitere Fragen stellten wir  

  • Michaela Holá, Netzwerkkoordinatorin für die Tschechische Republik der Industrie- und Handelskammer Chemnitz, 
  • Zbyněk Linhart, ehemaliger langjähriger Bürgermeister von Krásná Lípa und Senator des Parlaments der Tschechischen Republik, 
  • Frank Peuker, Bürgermeister der Stadt Großschönau und 
  • Hans-Jörg Schmidt, Autor, Journalist und Korrespondent der Sächsischen Zeitung und der Presse in Prag.  

Um die Debatte ohne Sprachbarrieren führen zu können, wurden die Redebeiträge aller Mitdiskutant*innen simultan übersetzt.  

Die gute Nachricht  

Die deutsch- bzw. sächsisch-tschechischen Beziehungen auf Ebene der Kommunen und privaten Partnerschaften sahen die Diskutant*innen nicht in Gefahr, diese seien stabil und ließen sich eine Zeit lang auch auf digitalem Wege pflegen. Eine grundsätzliche Einsicht in die Zwänge der pandemischen Lage ist außerdem allenthalben auf beiden Seiten der Grenze durchaus vorhanden.  

Aber ...

...der Flurschaden, den die Politik mit der faktischen Schließung der Grenzen ohne Rücksicht auf wirtschaftliche und private Härten und mit als unmoralisch empfundener Rosinenpickerei anrichtet, wie Hans-Jörg Schmidt hervorhob, indem diejenigen über die Grenze gelassen werden, die für das deutsche Gesundheitssystem derzeit mehr denn je als unverzichtbar gelten, ohne jegliche Rücksicht darauf, dass diese durchaus auch in Tschechien händeringend gebraucht werden, ist groß. 

Außerdem tragen im Kontext der medialen Berichterstattung über die hohen Inzidenzwerte und Virusmutanten  in Tschechien die auf deutscher Seite verwendeten Bezeichnungen wie “Problem-Tschechen” oder der von Ministerpräsident Michael Kretschmer genutzte Begriff “Brandmauer”, die man durch ein Sonderimpfprogramm in der Grenzregion errichten müsse, nicht unbedingt zu einer emotionalen Beruhigung der angespannten Lage bei. 

Wir wissen, dass eine Brandmauer gegen das Virus gemeint ist, aber klingt das auch in den Ohren unserer Nachbarn so oder nicht vielleicht vielmehr nach einer Stigmatisierung und Schuldzuweisung? Eine solche unbedachte Wortwahl dürfte dazu geeignet sein, alte und noch nicht vollständig verheilte Wunden wieder aufzureißen.   

Das Trauma  

Darüber hinaus darf eines nicht vergessen werden: Geschlossene Grenzen rufen sehr ungute Erinnerungen und Gefühle hervor. Zbyněk Linhart formulierte es so: “Wir sind sehr sensibel, wenn uns jemand einsperren möchte!”, und Hans-Jörg Schmidt sprach von einer “gewissen Melancholie”. Frank Peuker betonte, dass die Partnerschaft in den letzten Jahren wunderbar gewesen sei, die Geschichte schien vergessen. Aber dann seien im vergangenen Jahr plötzlich die ersten Grenzschließung gekommen, das bedeutete erneut eine bewachte Grenze, Grenzsperren und damit Ernüchterung. Im Sommer sei man sich dann einig gewesen, dass es eine weitere Grenzschließung nicht mehr geben werde. Und nun sei sie doch da - eine Situation, die so eigentlich gar nicht mehr vorstellbar gewesen sei. Es gäbe offenbar keine Verlässlichkeit, und dieses Gefühl säße sehr tief in der Bevölkerung - diese Enttäuschung müsse nach der Pandemie erst wieder überwunden werden.  

Die persönlichen Schicksale  

Insbesondere auch die sich zu Wort meldenden Zuschauer*innen bereicherten die Debatte mit Berichten von ihrer zum Teil durchaus als grotesk, mitunter sogar fast schon kafkaesk zu bezeichnenden persönlichen Situation, die das ganze Ausmaß der Folgen dieser unzeitgemäßen Schließung von Grenzen in einem bereits zusammengewachsenen Europa illustrierten. Zugleich wurde aber auch an Kritik nicht gespart: an der coronamüden Bevölkerung, die sich immer seltener an die Schutzmaßnahmen halte, und an so manchen tschechischen Politikern, die oft selbst keine Masken trügen und somit kaum als Vorbilder taugten. Aber vollkommen unhaltbar ist es, dass sich bei innereuropäischen  Grenzkontrollen zum Teil offenbar in kürzester Zeit schon wieder der Geist der Einschüchterung eingeschlichen hat und den Passierenden verbal oder nonverbal vermittelt wird, dass man sie als eine Gefahr für das eigene Land und ihren Grenzübertritt per se bereits als einen kriminellen Akt betrachtet. Der Geist von Europa sollte doch eigentlich eine ganz andere Sprache sprechen!  

Alternativen  

Dass die Mobilität eingeschränkt werden muss, war an diesem Abend grundsätzlich Konsens. Dass aber unterschieden werden müsse zwischen notwendiger und vermeidbarer Mobilität, war es ebenso: Pendler*innen, die zur Arbeit fahren, Kinder, die zu ihren Eltern reisen, und Partner*innen, die einander sehen möchten - ihnen allen sollte die Grenze mit einer sicheren und ausgefeilten Teststrategie an den Grenzübergängen und in den Betrieben offenstehen. Für den Tank-, Einkaufs-, Speise- und Urlaubstourismus sollte sie hingegen vorerst weiterhin geschlossen bleiben. Auch wenn verständlich ist, dass es auf beiden Seiten der Grenze und auch regional unterschiedliche Regelungen zur Bekämpfung der Pandemie gibt, so ist von den Politikern in beiden Ländern dennoch zu erwarten, dass gerade für besondere Regionen, wie es die Grenzregionen nun einmal sind, praktikable Lösungen gefunden werden, die sowohl das wirtschaftliche, in besonderem Maße aber auch menschliche und familiäre Miteinander im Blick behalten.  

Vision  

Michaela Holá brachte am Ende die Vision wohl aller Diskutant*innen dieses Abends folgendermaßen auf den Punkt: Wenn die Pandemie erst einmal überwunden ist, muss die deutsch-tschechische Zusammenarbeit weiter vorangetrieben werden und die Grenze endgültig verschwinden. Denn eine Grenze, die nicht mehr da ist, kann auch nicht mehr geschlossen und kontrolliert werden. Dies wäre für alle innereuropäischen Grenzen wohl der richtige Ansatz.  

Bei Rückfragen zu unserem neuen Format "Couragiert debattiert" bzw. zu dieser Veranstaltung wenden Sie sich gerne an unseren Mitarbeiter Andreas Tietze, a.tietze@aktion-zivilcourage.de