Eltern, die ihrem Kind Werte wie Toleranz und Weltoffenheit vorleben, sind über Gedanken und Worte des Kindes verwundert, wenn es vom Hort nach Hause kommt und über seine Mitschüler*innen in der Grundschule spricht: „…die sind Ausländer, die verstehen sowieso nichts.“  Die Eltern fragen sich, wie das Kind auf so eine Aussage kommt und wie sie darauf reagieren können.

Stereotype und Vorurteile, ob in positiver oder negativer Form, sind fest in gesellschaftlichen Strukturen verankert und werden bereits in der frühen Kindheit wahrgenommen. Kinder wachsen mit diesem „Wissen“ über bestimmte Kategorien auf. Dieser Beitrag soll pädagogischen Fachkräften, Eltern und anderen Interessierten einen Einstieg in das komplexe Thema Diskriminierung geben.

Hintergrund und Definitionen

Vielfalt meint die Verschiedenheit von Menschen und deren Lebensformen. Eine vielfaltsbewusste Gesellschaft ist gezeichnet durch Akzeptanz und Wertschätzung von Menschen in ihrer Verschiedenheit. Um Diskriminierung im Alltag zu verhindern geht es darum, Vorteile dieser Vielfalt zu entdecken und zu nutzen, denn das Zusammenwirken verschiedener Perspektiven (durch Unterschiedlichkeit der Menschen und deren Erfahrungen) ist bereichernd.

Der Begriff Diskriminierung kommt aus dem Lateinischen (discriminare) und steht für „trennen und unterscheiden“. „Diskriminierung (auch: Benachteiligung, Ausschluss, Ungleichbehandlung) heißt, dass eine Person schlechter als andere behandelt wird, weil sie einer bestimmten Gruppe zugeordnet wird oder ein bestimmtes Merkmal hat […].“ [1] Die Einteilung von Gruppen erfolgt über beliebig gewählte Merkmale, die als gut oder schlecht bewertet werden. Damit werden bewusst oder unbewusst individuelle, institutionelle und strukturelle Herrschaftsverhältnisse durchgesetzt. Formen von Diskriminierung sind bspw. Sexismus, Rassismus, Diskriminierung von Personen aufgrund ihres Alters, der sozialen Schicht, um nur einige Beispiele zu nennen. [2]

Was unterscheidet Stereotyp, Vorurteil und Diskriminierung?

  • Stereotyp (kognitiv): Alltägliche Eindrücke werden in Kategorien eingeordnet – so lässt sich die Welt sinnhaft erfahren
  • Vorurteil (emotional): beruhen auf stereotypen Wahrnehmungen und können sowohl positiv als auch negativ sein; so bestimmen sie die Vorstellungen über bestimmte Ereignisse oder Menschen im Kopf
  • Diskriminierung (handelnd): basierend auf Vorurteilen, sozialem Wissen, sozialen Alltagspraktiken und Ungleichheitstheorien wie bspw. Rassismus

Rassismus beruht auf historisch gewachsenen ungleichen Machtverhältnissen,[…] und bezeichnet die Einteilung von Menschen in feste Gruppen („Rassen“ oder „Kulturen“) anhand tatsächlicher oder vermeintlicher körperlicher oder kultureller Merkmale, wie Haut-, Haarfarbe, Sprache, Herkunft, Religion […] und die damit verbundenen Bewertungen und Diskriminierungen.“ [3]

Wie entwickeln Kinder Vorurteile?

Raid und Ferraz dürfen nicht mit Ballspielen, weil sie „so komisch reden“ und Leila soll sich „die schwarze Farbe von ihrer Haut waschen“ bevor sie mitspielen darf.  In diesen beispielhaften Reaktionen von Kindern stecken Abwertungen meist äußerer Merkmale. Wenn mit Kindern nicht über bestimmte Merkmale und Unterschiede, die sie in ihrer Umwelt wahrnehmen, gesprochen wird, entwickeln sie ihre eigenen The­orien dazu. Sie urteilen nach dem äußeren Erscheinungsbild, was ste­reotypes Denken begünstigt. [4]

Derartige Aussagen verdeutlichen ein „Wissen“, was sich über Raum und Zeit hin entwickelt und gefestigt hat. Es ist zu einem gesellschaftlichen „Wissen“ geworden und sagt etwas über Machtverhältnisse und Privilegien in einer Gesellschaft aus. In solchen Aussagen stecken Unterscheidungen und Negativbewertungen von Sprache, Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, sozialer Schicht, körperlichen Besonderheiten oder sexuellen Orientierungen. [5]

Kinder kopieren Vorurteile von Erwachsenen

Bereits in den ersten Lebensjahren beginnen Kinder sich ein Bild ihrer eigenen Person und über die Welt zu machen. Sie erleben, wie Menschen miteinander umgehen und beobachten was andere Menschen als wertvoll und wichtig bewerten und erfahren was nicht beachtenswert ist. Kinder vergleichen sich mit Anderen, ihren Familien, ihr Alltagsleben und entwickeln ein Bild davon, was in ihrem Umfeld als normal und richtig gilt und was nicht (Stereotype). 

Kinder beobachten bei Erwachsenen, dass Menschen nach bestimmten Kategorien eingeordnet werden. Zu diesen Merkmalen zählen bspw. das Aussehen, körperliche und geistige Fähigkeiten, das Geschlecht, aber auch, ob jemand Geld hat oder nicht, in einer kleinen Wohnung oder in einem großen Haus lebt und ob jemand aus einem anderen Land kommt und ob diese Herkunft als Gewinn oder Makel gesehen wird. Alle diese Merkmale entscheiden darüber ob jemand „dazugehört“ oder nicht, sie zeigen wer sich viel oder wenig anstrengen muss, um bestimmte Ziele zu erreichen. 

Bewertungen beeinflussen Selbstwertgefühl

Unbewusst übernehmen Kinder solche Bewertungsgefüge und den Platz, der ihnen, ihrer Familie und ihrer sozialen Gruppe zugewiesen wird. Je nachdem, wo sie sich wiederfinden, fühlen sie sich mehr oder weniger anerkannt oder abgelehnt, dazugehörig oder ausgegrenzt und entwickeln dementsprechend ein stärkeres oder schwächeres Selbstwertgefühl. [6]

Dieses Einordnen der eigenen Wahrnehmung in bestimmte Kategorien ist per se nichts Negatives, denn es hilft die Welt sinnhaft zu erfahren. Zudem gibt das Kategorisieren Sicherheit im Umgang mit neuen und ungewohnten Situationen. [7]

Wann beginnen Kinder Unterschiede wahrzunehmen?

Die Australische Erziehungswissenschaftlerin Glenda Mac Naughton hat einen Überblick über amerikanische Untersuchungsergebnisse zusammengefasst. Diese zeigt, wann und wie Kinder beginnen Unterschiede wahrzunehmen. Hier ein kleiner Einblick im Bezug auf die Hautfarbe und die Herkunft von Menschen (daneben gibt es Untersuchungsergebnisse über die Kategorien Behinderungen und körperliche Besonderheiten, Geschlecht und Sozio-ökonomischer Status). [8]

  • neun Monate: Kinder nehmen unterschiedliche Hautfarben wahr
  • drei Jahre: Kinder wissen, dass sich Menschen nach Hautfarbe und Haarstruktur unterscheiden, bereits in diesem Alter haben Kinder sowohl aus der weißen Mehrheit als auch aus nicht-weißen Minderheitsgruppen ein positives Bild von Weißen und ein negatives Bild von Schwarzen (hier geht es zum Doll-Test)
  • Kinder der Alterspanne zwischen fünf und acht Jahren äußern Ablehnung gegenüber Menschen, die eine andere Sprache sprechen als sie selbst und verbinden anerkannte Berufe mit heller Hautfarbe

Doch nur das bloße Zusammensein in einer Gruppe mit Kindern, die unterschiedliche Merkmale haben, löst keine Vorurteile auf. „Ist das gemeinsame Lernen nicht verbunden mit dem expliziten In-Frage-Stellen von Einseitigkeiten und Vorurteilen, so kann es sogar dazu führen, dass sich Vorurteile unter den Kindern verstärken.“ sagt Petra Wagner der Fachstelle für den Ansatz der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung.

Herausforderungen für die pädagogische Praxis

Zurück zu den Kindern Raid, Ferraz und Leila aus dem Beispiel weiter oben. Solche Situationen können Vorläufer für diskriminierende Handlungen sein. Als pädagogische Fachkraft trägt man eine besondere Verantwortung und benötigt neben dem Wissen über Diskriminierung, Reflexionsvermögen und viel Feingefühl im Umgang mit eigenen Vorurteilen sowie denen der Anderen. Wer mit Kindern über Rassismus und Diskriminierung sprechen möchte, muss auch sich selbst hinterfragen, sich mit seinen eigenen Vorurteilen und seiner Haltung auseinander setzen. Aufgabe von pädagogischen Fachkräften ist es, Benachteiligung und Ausgrenzung in pädagogischer Praxis zu erkennen, diese professionell zu thematisieren und erfolgreich zu bearbeiten. Bezugspersonen sind dabei immer Vorbild – in dem was sie tun oder auch nicht tun. Darüber hinaus ist die Gestaltung der Spiel- und Lernumgebung aus Materialien, die eine möglichst vielfältige Gesellschaft abbilden, wichtig.

Offenheit und Sensibilität sind Voraussetzung

Diskriminierung, Vorurteile und Rassismus zum Thema zu machen ist eine Herausforderung, die durch Offenheit und Sensibilität gelingen kann. Es ist ein Prozess, an dem alle mitarbeiten sollten. Kindern eröffnet sich so die Möglichkeit Wertschätzung und Respekt zu lernen und zu erleben – um in Zukunft couragiert zu handeln, wenn Diskriminierung in ihrem Umfeld passiert.

Die Aktion Zivilcourage e.V. hat verschiedene Angebote zu den Themen Rassismus und vielfaltsensible Pädagogik. Bei Interesse an den Angeboten oder an einer Zusammenarbeit im Rahmen von Couragierte Kinder und für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an Melanie Köhn, m.koehn@aktion-zivilcourage.de oder lesen sie hier auf unserer Website.

 

 

[1] Liebscher, D und Fritzsche, H.: Antidiskriminierungspädagogik. VS Verlag, 2010, S. 255.

[2] Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM, Handreichung für das übergreifende Thema BILDUNG ZUR AKZEPTANZ VON VIELFALT, 2018, S. 9.

[3] Liebscher, D. und Fritzsche, H.: Antidiskriminierungspädagogik. VS Verlag, 2010, S. 263.

[4] Ali-Tani, C. (07.2017) Wie Kinder Vielfalt wahrnehmen: Vorurteile in der frühen Kindheit und die pädagogischen Konsequenzen. Verfügbar unter: https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen//KiTaFT_AliTani_2017_WIeKinderVielfaltwahrnehmen.pdf. (Zugriff am: 30.07.2020).

[5] Liebscher, D und Fritzsche, H.: Antidiskriminierungspädagogik. VS Verlag, 2010, S. 63ff.

[6] Müller, C., et al.: Handbuch für Erzieherinnen zur Werte-, Demokratie und Vielfaltförderung. Anregungen für die Arbeit in Kindertagesstätten. https://www.friedenskreis-halle.de/kita/texte/Kita-Handbuch-1.pdf (Zugriff am: 15.7.2019).

[7] Liebscher, D und Fritzsche, H.: Antidiskriminierungspädagogik. VS Verlag, 2010, S. 63.

[8] Wagner, P. Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen. https://kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/bildungsbereiche-erziehungsfelder/soziale-und-emotionale-erziehung-persoenlichkeitsbildung/1989 (Zugriff am: 30.07.2020).