Wo beginnt Rassismus? Wo in unserer Gesellschaft wird er spürbar? Wie kann man mit rassistischen Äußerungen und Handlungen umgehen und was darf man heutzutage eigentlich noch sagen?

Aufgrund der neu entfachten Diskussion über die Bewegung „Black lives matter“ sowie der alltäglichen Konfrontation mit Rassismus, spüren wir nicht nur in unserem Arbeitsumfeld sondern auch in unserem privaten Umfeld, dass die Menschen sich verstärkt mit dem Thema beschäftigen. Die Unsicherheit über mögliche Handlungsoptionen scheint groß zu sein.

In unserem vergangenen Web-Talk „Alltagsrassismus in Sachsen“ haben wir uns daher mit drei Expert*innen diesen Fragen und mehr gestellt. Zuschauer*innen aus ganz Deutschland haben mit uns darüber gesprochen, was sie bewegt. Dabei wurden nicht nur aktuelle Entwicklungen und Meinungen diskutiert, sondern kontinuierlich der Bezug zur Handlungsebene und möglichen Strategien im Umgang mit Rassismus hergestellt.

Diese drei Expert*innen wurden von unserer Moderatorin Douha Al-Fayyad befragt:

  • Herr Chaimite, Vorsitzender des Afropa e.V. und Dachverbandes sächsischer Migrantenorganisationen e.V.
  • Frau Tomalka, Referentin der Aktion Zivilcourage e.V. für den  Bereich „Integration durch Ehrenamt“
  • Herr Mesghena, Journalist und Referent für “Migration & Diversity”

Hass ist keine Meinung

Das Motto „Hass ist keine Meinung“ begleitete unsere Dialogrunde. Bereits in den ersten Minuten war klar: Rassismus ist für jede Person etwas anderes. Selbst die drei Referent*innen, alltäglich Betroffene, beschrieben das Phänomen differenziert.

„Rassismus ist nicht für jeden gleich und wird in den jeweiligen Situationen sehr unterschiedlich empfunden. Was für mich eine rassistische Äußerung ist, muss von einem anderen Menschen nicht genau so bezeichnet werden.“, meint Angela Tomalka.

Den Expert*innen zufolge ist ein Aspekt jedoch zentral: Rassismus ist eine Form der Diskriminierung. Diskriminiert werden kann jeder, aufgrund von Geschlecht, der Zugehörigkeit zu einer Minorität, sozioökonomischem Status etc., wobei Rassismus jedoch eine konkrete Form von Diskriminierung ist. Dabei wird aufgrund eines äußeren Merkmals, beispielsweise der Hautfarbe, ausgegrenzt. Ein biologisches Merkmal, das die Betroffenen nicht ablegen können. Nicht weiß zu sein bedeutet in dem Fall nicht dieselben Privilegien zu genießen und aufgrund dessen im Alltag immer wieder gegenüber Anderen untergeordnet zu werden. Erst wenn die Menschen dafür Verständnis zeigen, können aktiv Lösungen gesucht und gegen Rassismus vorgegangen werden.

Struktureller und institutioneller Rassismus

Exemplarisch für strukturellen und institutionellen Rassismus steht das Schulsystem, in dem bereits die soziale Herkunft eine zentrale Rolle spielt. Weitere Bildungschancen und zukünftige Bildungswege werden dadurch maßgeblich bestimmt. Dies hat wiederum direkten Einfluss auf den Arbeits- wie auch Wohnungsmarkt. Schulen, Lehrer*innen sowie die Familie sind zentrale Ansatzpunkte. Die Institution Schule muss auf eine vielfältige Gesellschaft mit Stärken und Schwächen vorbereiten. Eine Gleichheit unabhängig vom familiären Hintergrund muss gefördert werden. Lehrer*innen müssen kontinuierlich weitergebildet und für das Thema sensibilisiert werden. Kinder sollten zudem so früh wie möglich den Unterschied zwischen Diskriminierung und Rassismus lernen. Es muss eine Aufklärung durch die Eltern sowie die Schule erfolgen.

Chancengleichheit, der Zugang zu Ressourcen sowie die Einrichtung rassismusfreier Institutionen sollte gegeben sein.“Das Thema gehört in die Schulen, in die Geschichte. Unsere überwiegend weißen "Helden", darunter Entdecker und Eroberer, werden geehrt und das wirkt bis heute immer noch.”, so Herr Chaimite.

Was ist zudem mit Racial Profiling?

Herr Mesghena sagt dazu, Racial Profiling sei institutionell wie auch strukturell verankert. Es wirke sich auf die Bewegungsfreiheit der damit Diskriminierten aus. Indem eine Studie darüber blockiert wird, schade man der Polizei. Es gäbe so keine Möglichkeit, die eigenen Strukturen zu reflektieren und zu untersuchen.

“Gibt es Ihrer Meinung nach Rassismus innerhalb von deutschen Gesetzen? Falls ja, welche Beispiele fallen Ihnen ein?”, fragt die Moderatorin Al-Fayyad.

“Es gibt kein Gesetz in Deutschland, das Rassismus festschreibt oder verkörpert. Aber überall gibt es fest etablierte rassistische Strukturen, die Barrieren für Menschen darstellen, sei es in Personalabteilungen, in Behörden, bei der Polizei, in Unternehmen usw.”, so Herr Mesghena.

Darauf einer der Teilnehmenden: Strukturen werden von Menschen gestaltet und die mangelnde Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund in Politik, Medien, Gesellschaft und Institutionen ist eine Form von strukturellem Rassismus.

“Als ich damals zur Wahl aufgestellt wurde, sind Leute aus der Partei ausgetreten. Denn es kann ja nicht sein, dass jemand, der aussieht wie ich, sich politisch einbringt.”, teilt Herr Chaimite seine Erfahrung.

Wo fängt es an und was können wir tun?

Also: Wo beginnt Rassismus und wo können wir beginnen, gegen Rassismus zu handeln? Ist es schon rassistisch zu fragen: “Wo kommst du eigentlich ursprünglich her?”

“Für Menschen, denen Tag für Tag die Frage gestellt wird, wo sie denn eigentlich herkommen, bedeutet das eine Art tägliche Ausbürgerung. Im Prinzip drückt man mit der Frage aus: Du gehörst hier nicht hin, bist kein Teil von uns. Man wird täglich ausgebürgert”, meint Herr Mesghena.

Doch was bedeutet das nun? Herr Mesghena stellt klar, wer eine rassistische Äußerung tätigt, sei noch lange keine rassistische Person. Viele Menschen sind so sozialisiert, müssen jedoch bereit sein, sich in die von Rassismus betroffene Person hinein zu versetzen, anzuerkennen, dass diese Äußerungen verletzen können und sie müssen bereit sein, diese Versprachlichungen zu verlernen.

Diese und weitere Handlungsempfehlungen wurden im Dialog ausgesprochen:

  • Das Zeigen von Empathie und die Bereitschaft, rassistisches Verhalten zu verlernen, können ein erster Ansatz sein.
  • Weiterhin ist die Repräsentation von Vielfalt elementar. Dabei sollte jeder für sich definieren, welche Gesellschaft er sich wünscht und wie er diese Gesellschaft repräsentieren kann. Wir können alle aktiv daran arbeiten, diese Vorstellung in unserer Kommune, Klasse, im Kollegium widerzuspiegeln.
  • Wir müssen gemeinsam diejenigen stärken, die aufgrund struktureller Barrieren nicht repräsentiert werden.

Sichtbar, auch in den Medien, sind oft die Lautesten, während die Mehrheit schweigt. Dabei müssen wir als Mehrheit agieren und unsere Bereitschaft zeigen, die Offenheit dieser Gesellschaft zu verteidigen. Sowohl auf Familien-, Schul- wie auch der politischen Ebene.

Also: Was nun?

“Wir brauchen eine angemessene Repräsentanz in der Politik und die aktiven Leute mit Migrationsgeschichte müssen darin auch unterstützt werden.”, sagt Herr Chaimite.“Man sollte auf sich achten, auf die Nachbarn achten. Kommen Sie mit ihnen ins Gespräch, gucken sie sich in Ihrer Nachbarschaft um. Engagieren Sie sich in Institutionen.”, ergänzte er.

“Wir müssen mit positivem Beispiel voran gehen. Es gibt viele Unternehmen, viele Institutionen, die sehr engagiert sind. Niemand ist vorurteilsfrei, doch wir können jeden so behandeln, wie man selbst auch behandelt werden möchte”, meint Frau Tomalka.

“Sind wir Demokraten? Dann lasst uns verdammt nochmal demokratisch handeln und repräsentieren”, so Herr Mesghena.

Im Web-Talk empfohlene Ressourcen zum Thema Rassismus

Tupoka Ogette: exit RACISM – rassismuskritisch denken lernen

In ihrem Buch und auch in ihren Workshops gibt Tupoka klare Strategien rassistischen Habitus zu entkommen, das eigene Verhalten umzulernen und dabei vor allem Empathie und Rücksichtnahme im Kontext von Machtstrukturen neu zu erlernen. Praxisorientiert sind es also ganz klare Schemata, die durch dieses Buch weitergegeben werden.

Exit RACISM gibt es hier und als interaktives Hörbuch kostenlos bei Spotify.

Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen müssen

Anhand von persönlichen Ereignissen auf Augenhöhe, angefügten wissenschaftlichen Zitaten und einer sozialwissenschaftlichen Einordnung, bekommen Lesende Einblicke in die Lebenswelt einer Schwarzen Person, lernen Alltagserlebnisse neu zu interpretieren und sind in der Lag, Verständnis und Empathie für entsprechende Sachverhalte zu entwickeln. Obwohl die Auseinandersetzung auf derart persönlicher Ebene stattfindet, ist die Argumentation unglaublich sachlich und Präzise ohne sprachlich zu anspruchsvoll zu sein.

Das Buch gibt es hier und als Hörbuch kostenlos bei Spotify.

Eine Stunde Talk mit Alice Hasters – Deutschlandfunk Nova

„Afro.Deutschland“ Jana Pareigis, Deutsche Welle

https://www.youtube.com/watch?v=VDVLUqqQEa8

18 Pflichtlektüren & Doku-Tipps gegen rassistische Machtstrukturen

https://www.thisisjanewayne.com/news/2020/01/24/18-pflichtlektueren-doku-tipps-gegen-rassistische-machtstrukturen/

"Die Anstalt" nimmt das Thema Rassismus unter die Lupe

https://www.zdf.de/comedy/die-anstalt/die-anstalt-vom-14-juli-2020-100.html